Impression zur Komplexität des Traumas, am Beispiel meines letzten Blogbeitrags

Zum Ende meines jüngsten Blogbeitrags erwähnte ich, wie psychosomatisch belastend für mich seine Abfassung war. Am vergangenen Montag durchlebte ich diese Belastung in der Traumatherapie erneut, denn der Beitrag als auch Momente seiner Entstehung waren Thema der Stunde. Ja, ich frage mich manchmal, ob es überhaupt gesund ist, sich damit zu beschäftigen. Im Grunde ist Traumatherapie schon Disstress genug, dann noch über die gesellschaftlichen Hintergründe von Kindesmissbrauch und meines Traumas zu bloggen, ist eine vermehrte Belastung in einer PTBS. Also frage ich mich, ob ich nicht seelisch gesünder lebte, wenn ich mir weder Blog noch Traumatherapie länger antun würde. Die Antwort liegt auf der Hand. Nicht die Befassung mit Trauma, Kindesmissbrauch und Traumatherapie ist ungesund, sondern einzig die Nichtbefassung. Verdrängte ich mein Trauma und seine sozialen Ursachen, bewegte ich mich wieder zurück in jene Nichtzeit, in der ich ein Überlebender war, der überhaupt nicht imstande war wahrzunehmen, dass er ein Überlebender ist. Damals hatte ich funktioniert, mich mit dem Stillstand meiner Suchterkrankung als ein anerkanntes Mitglied in die mich tragende Gesellschaft eingegliedert, über 100 Bücher geschrieben, tausend Bilder gemalt, mich als Funktionär für berufspolitische Aspekte engagiert, doch ich hatte als Folge meiner Vorgeschichte mein inneres Selbst verloren, war allnächtlich von Albträumen geplagt, voller Phobien, die ich leichthin ignorierte, da es nicht „meine“, sondern „seine“ waren. Ich wusste nichts von kPTBS und Depersonalisationsstörung, bis ich um 2008 in eine schwere posttraumatische Belastungsstörung schlitterte und drauf und dran war, mich darob selbst zu entleiben.

Im Herbst 2011 begann ich meine erste Traumatherapie. Damals war ich nicht mehr als ein Schluck Wasser in der Kurve, fand aber allmählich zu mir. Die allnächtlichen Albträume begleiteten mich noch weitere zwölf Jahre, bis sie sich während der jüngsten Traumatherapie weitgehend verflüchtigten. Schwerpunkt der aktuellen Therapie ist, meine Depersonalisationsstörung zu überwinden. Ich vermute, es könnte gelingen. Jedenfalls gibt es für mich, der ich Ende dieses Jahres 74 werde, nur eine Richtung: Dort wo die Angst ist, dort geht es lang. So bleibe ich in Entwicklung, und es ist etwas großartiges, sich seelisch wachsen und allmählich zu einem Stern werdend zu erleben. Wobei ich auch bei der Betrachtung der Entwicklung Meinerselbst erkenne, dass posttraumatisches Wachstum ebenso komplex ist, wie eine akute PTBS, da wirkt mein ganzes Meinerselbst holistisch wie ein riesiges Myzel konzertiert und keineswegs chaotisch ineinander. Der Wahnsinn einer PTBS hat demnach durchaus Methode. Einerseits schützt er die Fragmente meiner Person nach innen wie nach außen, verknüpft sie und lässt sie interagieren, so dass letztlich eine gesunde Entwicklung einer insgesamt desolaten Psyche möglich ist. Die Selbstheilungskräfte des Geistes scheinen, solange ich mir selbst vertraue schier unermesslich.

Jedenfalls war ich, als ich mein letztes Blog verfasste ziemlich entmutigt; doch gleichzeitig auch ziemlich zornig, dass mein Bemühen um eine Ausstellung zum therapeutischen Prozess einer PTBS nach Kindesmissbrauch so erfasst wurde, wie ich es im Grunde erwartet hatte. Irritation, Besorgnis um den eigenen Leumund und schlicht Hilflosigkeit angesichts des verdichteten Leids. Und wieder keine mutige Stimme, die sagt, jetzt versucht er es schon so lange, auf diese Verbrechen in seiner Art, seinem Ausdruck, seiner Syntax als auch Prosodie einen Raum zu finden, dann ist es auch unsere Schuldigkeit, ihm diesen Raum zu gewähren. Nein, es wird mir immer wieder versagt, nicht weil ich ein unbequemes Missbrauchopfer bin, letztlich sind das alle Überlebenden, sondern weil diejenigen, die in den semipolitischen Kunstreferaten sitzen, lebende Seismographen der Wokeness sind und ihre Existenz davon abhängig machten, im wahren Rhtymus aktueller Erkenntnis und kunstpolitischer Erleuchtung zu schwingen. Es ist eben jetzt kein Thema, die Kunst will das derzeit nicht. Die Kunst hat ihren eigenen Puls, so wie die ihre kindliche Tochter prostituiierende Irina Ionesco in den siebziger Jahren zu einem Superstar werden konnte, und damals ganz dem Zeitgeist verhaftete Zeitschriften ihren kinderpornografischen Schund hochjubelten und verbreiteten. Mal sehen, ^wann mein Anliegen eines Tages noch aufgegriffen wird. Denn darum ging es wiederholt in der Stunde, wenn M.R. mich fragte, was mein Anliegen sei, dass ich hierfür derlei Mühe und körperliche wie seelische Belastung auf mich nehmen würde. Ich hatte es in der Stunde mehrmals selbst formuliert und formuliere es zum Ende dieses Blogs über meine jüngste Stunde erneut: Jedes Kind soll ermutigt werden, Übergriffigkeiten unmittelbar zu erkennen und offen zu benennen. Und jedem Kind, das so etwas benennt, sollte zugehört werden und die Täter gestellt werden.

Nachstehend mein Blog zum Blog

Osterferien vorbei. Zunächst geht es um meine allgemeine Empfindlichkeit. Auffällig ist, dass ich anfänglich nur in der dritten Person von mir zu sprechen vermochte. Dabei empfand ich mich auf der Herfahrt nicht als dezentriert, allenfalls nur ein wenig ungeerdet. Über die aktuellen somatischen Anzeichen meiner psychischen Verfassung komme ich zum wesentlichen, was mich während der Ostertage besonders getriggert, gelähmt als auch umgetrieben hatte. Es war mein Blogbeitrag zu meinem Bemühen, eine Ausstellung zum Thema Kindesmissbrauch zu organisieren, dazu kritisierte ich auch die beliebigen Performationen der Kirche und der öffentlichen Hand, Denkanstöße zu geben und dabei im Unverbindlichen zu bleiben; weiteres meine Reflexion im Blog über die als „Aufarbeitung“ deklarierte öffentliche Nachbearbeitung der Institutionen, ihre Schuld und Teilhabe an den Verbrechen vergessen zu machen und sich als Treuhänder der Überlebenden und Hüter künftiger, glücklicher Kindheit zu inszenieren.

Ich schilderte in der Stunde die Umstände der Entstehung des Beitrages, meine psychische wie physische Belastung – anhaltendem und sich steigerndem Reizhusten, meine Unlust mit einhergehender Disziplinierung, die Überwindung meiner spürbar depressiven Lethargie, als auch Unkonzentriertheit und Langsamkeit. Eine weiteres, neues Phänomen meiner Befindlichkeit darauf, ein Wechsel zwischen überwältigenden Gefühlen – erlebt als eine beängstigende Übermächtigung – einerseits und andererseits eine nicht minder beängstigende Stumpfheit – als pure empfindungslose Abwesenheit trotz kognitiv bewusster Präsenz. Der ganze ausgesprochene Komplex bedingte eine Jammerstunde, denn das Thema hat viele, viele Facetten, was für sich gesehen, durchaus lindernd wirkt, quasi verteiltes Leid. Jedenfalls laboriere ich seit 27. Februar – zwei Tage nachdem mein väterliche Freund Franzi verstarb – an einer Grippe und in deren Folge an einem chronischem Husten herum, der meinen insgesamt hintergründigen Stress wie ein Bordun trägt und begleitet.

Eigentlich kommen die ganzen missbräuchlichen, gesellschaftlichen Strukturen aufs Tapet, die auch über Jahre in meinem Blog behandelt werden. Von der aufgesetzten Liberalität heutiger Erziehung, die Kuschelräume in Kindergärten und Horten befürwortet, in denen dominante, ältere und stärkere Kinder „einvernehmlich“ kleinere, schwächere Kinder begrabschen und missbrauchen und sich somit eine neue Täter-Opfer-Hierarchie heran- und ausbildet. Das alte Prinzip jeglichen Missbrauchs und jeglicher Erniedrigung setzt sich somit fort: Man tut es, weil man es kann, weil man die Macht hat und Macht ist geil und weil sie geil ist, geilen sich an ihr die Täter auf, während hilf- und sprachlose Opfer zurückbleiben, denn es fehlt landauf, landab an selbstverständlichen Möglichkeiten für ein geschändetes Kind, Missbrauch an sich als solchen zu bemerken, zu erkennen, wahrzunehmen, zu benennen und unmittelbar anzuzeigen. So wie ein Kind ganz selbstverständlich seinen Hunger oder Durst benennen und stillen kann, so wenig selbstverständlich ist es immer noch, dass es die unangenehmen Gefühle sexueller Übergriffigkeit deuten und benennen kann oder ermutigt ist, dies unmittelbar zu tun, auf dass die besagte Übergriffigkeit gehört und geahndet und nicht weggeredet oder diminuiert wird.

Sexuelle Übergriffigkeit auf Kinder ist leider so alltäglich, dass ihre selbstverständliche, alltägliche Abmahnung und Verfolgung eben nicht alltäglich ist, sondern vielfach als belastend und unnötiger Aufwand erachtet wird. Daneben sind die Tricks der Kinderschänder, sich an Kinder heranzumachen, so vielfältig und klandestin wie eh und je, wobei die sozialen Medien in vielfältiger Weise die Verbrechen flankieren. Auch darüber sprachen wir, und ich schilderte, wie ich vor bald 70 Jahren derlei perfide Anmache wahrgenommen hatte, diesen Anhauch von Gewalt empfand, ihn freilich nicht klassifizieren konnte, weil mir die Begrifflichkeit fehlte, und deshalb nicht rechtzeitig davor fliehen konnte und schon wie ein Fisch im Netz der Finsterlinge gefangen war. Jedenfalls sind mir die Gesichter, die Stimmungen, der Geruch der Kinderfänger als auch meine eigene Angst immer noch so präsent, als wären nur wenige Tage seitdem verstrichen. Derart sensorisch getriggert empfinde ich mich jedesmal, sobald ich in einer Stunde über vergangenen Schrecken erzähle, so dass ich davon als etwas mir Gegenwärtiges spreche. – Die letzten Minuten der Stunde gehe ich in mich, versuche mich zu finden, indem ich mich bewusst erde und meine Brust ums Schlüsselbein leicht rhythmisch beklopfe. Ja, Traumatherapie ist für sich bereits sehr belastend; nicht umsonst bin ich, wenn ich davon nach Hause komme so gerädert.